Landwirtskinder haben es schon schwer: Weil die Medien Landwirtschaft als Klischee „bewirtschaften“, müssen sie erleben, wie der Beruf ihrer Eltern auf Themen wie „Bauer-sucht-Frau“, Massentierhaltung, Pestizideinsatz und Lebensmittelskandale reduziert wird.
Wie soll das einer aushalten? Wo man in vielerorts an Schulen und in Vereinen zur Minderheit gehört? Wo inzwischen Lehrer und andere Berufsgruppen sich als kompetenter bei landwirtschaftlichen Themen halten und den Praktikern gerne sagen, wie man richtig Landbau und Tierhaltung betreibt – schließlich kann man ja ein Güllefass von einem Tanklastzug unterscheiden, oder?
Und das Fernsehen? Montags läuft die Peinlichkeits-Show „Bauer sucht Frau“ auf einem Kanal, der die damit erreichte Reichweite (Quote) gut an seine Werbekunden verkaufen kann. Obwohl diese Reichweite von Jahr zu Jahr sinkt. Es bleibt ein frommer Wunsch, dass ihr irgendwann die Werbekundschaft ausgeht. Diese Sendung setzt auf den Voyeurismus der Menschen, Volltrottel und Selbstdarsteller öffentlich vorgeführt zu bekommen. Die darin gezeigten, sorgfältig ausgewählten Personen bestätigen den Zuschauern ihre Vorurteile gegenüber Landwirten und festigen damit ein skurriles Image der Landwirtschaft und der darin arbeitenden Menschen. Ein Perpetuum-Mobile für die Bewirtschaftung von Klischees. Die Welt ist schließlich kompliziert genug – warum also diese Branche etwas differenzierter betrachten?
Helge Schneider über Bauer sucht Frau :
http://youtu.be/kNyzgwpyXQY
Ein super Kommentar steht darunter (MisterJetta):
„Sie selbst wissen nicht, dass sie ausgesucht wurden, weil sie dem Stereotyp des degenerierten inzüchtigen Bauern am nächsten kommen. Die Crux liegt in der Not ihrer Unbeliebtheit, deren Lösung sie in der Sendung suchen. Sie werden quasi demselben ignoranten Proletariat präsentiert, das ihnen jenes Klischee aufgebunden hat.“
Also, was tun? Die jüngere Generation hat inzwischen das Internet und seine medialen Möglichkeiten als eine Plattform entdeckt, mit der man AN DEN KLASSISCHEN MEDIEN VORBEI mit den Menschen kommunizieren kann. Und die Jugend experimentiert. Mit der Art und Weise, wie es am besten geht. Dabei rückt ein Format, der Videoclip, in den Vordergrund: Hier kann ein Thema kurz und knapp für die Aufmerksamkeitsspanne eines Internetnutzers aufbereitet werden. Mit Musik und selbst geschriebenen Texten kann die Reichweite sogar noch erhöht werden: Entweder taucht man irgendwann in den Suchergebnissen nach einem beliebten Musikstück auf und wird geklickt oder/und der Clip wird aufgrund seiner Originalität und Qualität in den sozialen Medien weiterempfohlen.
Ein Oldie dieser Musik-Parodien unter den Landvideos ist „Mein Dorf – Sido Verarsche“ – eine Parodie auf ein Lied des Rappers Sido. Es wurde in 2006 auf YouTube hochgeladen und hat inzwischen siebenstellige Abrufzahlen. Diskussionen über das Video und über Landwirtschaft laufen auch heute noch in den Kommentaren darunter. Leider waren Qualität und Auflösung von Handy-Videos 2006 nicht soo gut.
2011 starteten die Unternehmen Bayer, Big Dutchman und Claas mit der Redaktion des Agrarfachmagazins „top agrar“ den Videowettbewerb „Clip My Farm“ mit dem Motto „Kein Bock mehr auf Klischee“ und motivierten damit zahlreich die Landjugend, ihrem Frust durch kreative Videos Luft zu machen. Spätestens danach war YouTube mit Videos junger Agrarier abgefüllt – mit guten und nicht so gut gemachten. Und mancher einer kam dadurch auch ins Fernsehen (Filmbericht im BR):
Dieses Jahr wurde der Wettbewerb unter dem Motto „Sound of Nature“ wieder durchgeführt und daraus gingen etliche wirklich sehr gut gemachte Clips vom Stapel, die fast schon zu professionell gemacht wirkten. Jury- und Klicksieger für 2013 ist „Rhythm of Nature“ von Helen, Julia und Malte aus Schleswig-Holstein:
Die „Stars aus dem Stall“ wurden sogar in der Berichterstattung berücksichtigt, siehe http://www.ln-online.de/Nachrichten/Norddeutschland/100-000-Klicks!-Die-Stars-aus-dem-Stall – Auch der NDR hat inzwischen einen Fernsehbeitrag ausgestrahlt, der das Thema gut rüberbringt.
Eine breitere Berichterstattung war für diesen Wettbewerb, der die Gewinner auf der Grünen Woche präsentierte, sicherlich gewünscht. Thematisch schien er den Redaktionen aber nicht in das Bild der Landwirtschaft zu passen, welches sie üblicherweise zur Messezeit im Fokus haben. Schade!
Auch in den USA hatten sich schon in 2012 drei Brüder von einer Rindermast und Weizen-Farm gedacht, dass sie ihren städtischen Studien- und Schulkollegen mal zeigen könnten, dass ihre Arbeit auf dem Hof interessanter und anspruchsvoller ist als es Kinderbücher und Medien vermitteln. Sie texteten den Song „I’m sexy and I know it“ um zu „I’m farming and I grow it“ und schrieben den gesamten Text neu.
Der Klickerfolg des ersten Videos der Peterson Farm Brothers hatte sie in wenigen Tagen zu einer Einladung zum Interview bei Fox-News nach New York gebracht: http://video.foxnews.com/v/1711724454001/im-farming-amp-i-grow-it-video-parody-goes-viral/#sp=show-clips
Inzwischen haben Greg, Nathan und Kendal Peterson zusammen mit Ihrer Schwester und Kamerafrau Laura mehrere Parody-Videos für ihren YouTube-Kanal www.youtube.com/user/ThePetersonFarmBros produziert, die allesamt locker und cool das Leben auf der Farm und die damit verbundenen Arbeiten zeigen. Die Wirkung auf nicht-ländliche Zuschauer lässt sich gut durch die Kommentare unter den Videos verfolgen.
Greg Peterson, der in 2013 an der Kansas State University sein Agrarstudium mit der Fachrichtung Agricultural Communication abgeschlossen hat, legte zugleich eine monatliche Video-Serie „Life of a Farmer“ auf, in der er – ohne musikalische Begleitung – von den Arbeiten auf der Farm berichtet.
Vorbild der Petersons ist übrigens Derek Klingenberg , der seit 2009 seine witzigen Videoclips auf YouTube stellt. Er macht Videos, weil es ihm Spaß macht – ohne große Botschaften dahinter. Sein Clip „What Does The Farmer Say?“ parodiert das norwegische Stück „What Does The Fox Say“ und überzeichnet den Alltag auf seiner Farm auf groteske Weise:
Die Peterson Farm Brothers waren im November 2013 auf Einladung der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) auf der Agrarfachmesse Agritechnica und damit auch erstmalig in Europa. Vor dem meist agrarischen Publikum kamen ihre live gesungenen Songs auf dem Messestand der DLG sowie als „Special Guests“ auf der Young Farmers Party gut an. Die drei konnten u.a. auch SAT1 regional überzeugen, wie dieser Videobericht zeigt: http://www.hannover.sat1regional.de/aktuell/article/peterson-farm-bros-aus-kansas-rocken-agritechnica-130642.html
Mal sehen, wann sie wieder nach Deutschland kommen. Hey, Greg, was hälst du von Berlin?
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