Ein Sensationsstück des Sensorjournalismus steht in den Startlöchern: Der WDR startet am 4. September ein Projekt namens „Superkühe – Und welche Milch trinkst du?“. Mit drei Kühen auf drei Höfen in Nordrhein-Westfalen sollen dreißig Tage lang „User, Zuschauer und Hörer ganz nah ran an das Leben von Milchkühen und an den Grundkonflikt der modernen Landwirtschaft gelassen werden: Das Wohl der Tiere gegen die Kosten der Produktion.“
Wo stehen die Kühe? Auf einem idyllischen Bioland-Betrieb mit 70 Kühen, einem konventionellen Familienbetrieb mit 120 Kühen und auf einem familiengeführten Gutsbetrieb mit über 800 Kühen und einem Dutzend Angestellten, der die Rolle des agrarindustriellen Betriebes spielt.
Und was ist das Sensationelle an diesem Medien-Projekt? Die Kühe sind quasi „verwanzt“, sie tragen Sensoren an Füßen und im Magen und geben im Melkstand detailliert über ihre Milch Auskunft. Das an sich ist eigentlich nichts wirklich Neues, denn das findet man in heutigen Milchviehbetrieben öfters. Landwirte nutzen diese Technik, um das Wohl der Tiere und die Qualität der Milch zu sichern. Doch nun lauscht jemand mit.
Es musste erst ein Nerd wie Jakob Vicari auf die Idee kommen, um die Kühe „auszuspionieren“ und daraus eine Schnittstelle zur Kommunikation mit Internetusern zu entwickeln. Wie das Ganze funktionieren soll, hatte er auf der re:publica 2017 im Mai erklärt:
Die gesamte Präsentation „Wie Tiere und Dinge zu Reportern werden“ kann man auf der Seite der re:publica als Audioaufzeichnung nachhören.
Jakob Vicari steht aber nicht allein im Stall und sammelt Daten, sondern ein ganzes Team arbeitet im Hintergrund, dass alles klappt. Boss der Produktionsfirma Chapter-One ist Carolyn Braun, sie hat auch an dieser gut gemachten GPS-Reportage über Elektroschrott maßgeblich mitgewirkt.
Was will man nun mit den „Superkühen“ erreichen? Neben der Entwicklung eines neuen Medienformats gab Björn Erichsen während der re:publica weitere Ziele preis:
„Kaum jemand da draußen weiß heute noch, wie Milch gemacht wird. Da kann ich nur mein eigenes Erstaunen nehmen, wenn ich sehe, wie es auf Bauernhöfen so funktioniert. Zum Anderen stellen wir uns ja irgendwie auch die Frage, wie sollen unsere Nutztiere leben. Sollen sie konventionell leben? Sollen sie auf einem Großbetrieb leben? Müssen es alle Biokühe sein? Wir werden mit unserem Format darauf eine Antwort geben.“
Die Antwort soll am Ende der 30 Tage langen Laufzeit des Projekts von den Zuschauern und Internet-Nutzern kommen, die darüber abstimmen können, „welche Milch sie lieber trinken“ möchten.
Aber eigentlich ist die Antwort doch schon klar, wer das gewinnt… Der Siegerplatz ist gesetzt. Oder doch nicht? Und wann waren zuletzt Reporter 30 Tage lang auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mit dabei? Das Projekt ist somit kein üblicher „One-Night-Stand“. Warum läuft das Projekt gerade in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes? Wo liegt der Übergang von Sensorjournalismus zu Sensationsjournalismus?
Über das Projekt werde ich auf www.agrarblogger.de weiter berichten und versuchen, einige Fragen aufzulösen. Dazu brauche noch mehr Infos, als es Pressemeldungen und ein paar Internetseiten zu bieten haben…
Hier die Links zum Projekt:
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